In der Schweiz werden immer noch drei Viertel der Gebäude mit Öl oder Gas geheizt. Die Städte und Gemeinden arbeiten deshalb auf Hochtouren dran, die Wärmelieferung im Sinne der Energiewende und des Zieles «Netto-Null» klimafreundlich umzugestalten. Eine Lösung bietet die Quelle, welche ein Hauptteil der Schweizerinnen und Schweizer nicht fern vor ihrer Haustüre haben: unsere Seen. Bereits im Jahr 1938 wurde in Zürich eine Wärmepumpe installiert, um mit Wasser aus der Limmat das Rathaus mit Wärme zu beliefern. Heute gibt es über 50 Seewasserverbünde rund um das Seebecken von Zürich.

Rund 80% weniger Emissionen dank Seewasser

In den beiden Städten Biel und Nidau wurde das Potential geprüft und für ein Seewasserprojekt zusammengearbeitet. Im Jahr 2020 wurde deshalb die Energieverbund Bielersee AG (EVB) gegründet, im Endausbau wohl einer der grössten Wärmeverbünde in der Schweiz mit Seewasser. Die Einsparungen sind beachtlich: Rund 29'000 Tonnen CO₂-Emissionen können bis 2030, also 4'500 Tonnen CO₂ pro Jahr, reduziert werden. Dies entspricht über 80% der Emissionen, die mit Öl oder Gas verursacht werden und erspart den Einsatz von fast 2.1 Millionen Liter Heizöl. Damit kann der Energieverbund Bielersee AG mit einem Förderbeitrag von fast 3 Millionen Franken rechnen.

Weitere Vorteile sind, dass die natürliche Ressource und damit die erzeugte Energie für das Heizen aus der Region bezogen werden kann. Die Transportwege sind damit kurz, die Wertschöpfung wird lokal ausgelegt, und die Abhängigkeit vom Import sowie von den schwankenden Öl- und Gaspreisen, die an den Weltmarkt geknüpft sind, sinkt.

Wärmeangebot der Seen ist meist grösser als die Nachfrage

Die thermische Nutzung ist mit der Rückgabe von erwärmtem (bei Kühlung) bzw. abgekühltem (bei Heizung) Wasser verbunden. Die Senkung der Temperatur in den Seen, welche durch die technischen Prozesse mit dem Einsatz einer Wärmepumpe ausgelöst wird, kann für das Klima sogar einen Vorteil bringen. Wichtig ist, dass die ökologischen Funktionen von Gewässern nicht beeinträchtigt werden. Am Beispiel des Bodensees wurden die ökologischen Auswirkungen auf ein Gewässer untersucht. Die Forscher gehen davon aus, dass bei einer Abkühlung in der Grössenordnung von 0,5°C oder einer Erwärmung von 0,2°C keine negativen Folgen für die Ökosysteme zu erwarten sind (2018, Aqua & Gas, Thermische Nutzung von Seen und Flüssen, A. Gaudard, M. Schmid, A. Wüest, Eawag).

Eine Studie der Eawag – des Wasserforschungsinstituts der ETH – zeigt, dass das Potenzial der Schweizer Seen und Flüsse beträchtlich ist: Wenn nur die Hälfte der geschätzten Nachfrage dem jeweiligen See oder Fluss zugeordnet werden kann, entspricht das bereits rund 40% des Kühl- und Heizbedarfs der Schweiz. Das Wärmeangebot der Schweizer Seen und Flüsse ist deutlich grösser als die Nachfrage – mit Ausnahme der dicht besiedelten Gebiete um den Zürich- und Bielersee.

Bielersee als Energiequelle für Biel und Nidau

Das Nutzungspotenzial des Bielersees liegt ungefähr bei 10’000 TJ zum Heizen und 2’300 TJ zum Kühlen. Eine beachtliche Menge Energie also, wenn auch nicht unerschöpflich.

2015 wurde in Biel deshalb das Projekt zur Nutzung des Bielersees als grosse regionale Energiequelle zur Versorgung der Städte Biel und Nidau gestartet und Schritt für Schritt weiterentwickelt. Der lokale Energiedienstleister Energie Service Biel/Bienne (ESB) und die Stadt Nidau haben hierzu ihre Zusammenarbeit stetig vertieft. Im Frühling 2021 starteten die Bauarbeiten für den Energieverbund Bielersee. Das Ziel ist, bis 2023 das Gebiet westlich des Bahnhofes Biel und grosse Teile der Stadt Nidau mit erneuerbarer Wärme und Kälte zu versorgen. Nebst Anpassungen, um archäologische Schichten nicht zu beeinträchtigen, wurde auch das Konzept modifiziert, um mögliche Auswirkungen auf die Technik, verursacht durch die Quaggamuschel, möglichst gering zu halten. Als Hauptbezüger werden die Gebäude des Switzerland Innovation Park Biel/Bienne (SIPBB) und des künftigen Campus Biel/Bienne der Berner Fachhochschule (BFH) angeschlossen.

Wie wird «Seewasser» beim Heizen eingesetzt?

Das Seewasser wird durch zwei Seeleitungen in 20 resp. 30 m Tiefe gefasst und in das Pumpwerk befördert. Die Kälte aus dem Seewasser wird dort mittels grosser Wärmetauscher an den Zwischenkreis übertragen und zur Kühlung an die Endverbraucher verteilt. Zur Gewinnung von Heizenergie kommen drei Wärmepumpen zum Einsatz. Diese funktionieren ähnlich wie ein Kühlschrank. In der Heizzentrale wird einerseits direkt die Wärme aus dem Seewasser und andererseits die Abwärme aus dem Kältenetz genutzt. Das Seewasser wird anschliessend in den nahen Fluss, die Zihl, zurückgeleitet.

«Der Energieverbund Bielersee ist das bisher wichtigste Projekt der Transformation zu einer erneuerbaren Wärmeversorgung in der Region Biel, welches wir u.a. dank der Stiftung KliK umsetzen können.»

Martin Kamber, Leiter Marketing & Vertrieb ESB, Geschäftsführer EVB

Merkmale Wärmeprojekt

Wärmeprojekt
Energieverbund Bielersee AG

Wärmequelle
Seewasser aus 20 und 30m Tiefe, bivalent

Trassenlänge
Ca. 10 km

Jährlich gelieferte Wärmeenergie
21'000 MWh/a

Wirkungsbeginn
Herbst 2022

Emissionsreduktion bis 2030
29'000 Tonnen CO₂

Einsparung Liter Öl
2.1 Mio. Liter Heizöl

Förderung pro Jahr bis 2030
CHF 2'900'000.-

Finanzierung
Eigenfinanzierung, Finanzhilfe der Stiftung KliK

Ein Blick auf die Schweizer Landkarte

Allein in Zürich gibt es ca. 50 Seewasserprojekte. Ziehen wir weiter zum Schweizer Ufer an den Bodensee, so produzieren über 16 Wärmeverbünde mit Seewasser klimafreundliche Wärme und Kälte. Auch die Romandie ist aktiv: So werden zum Beispiel der Campus der EPFL und die Universität Lausanne mit Abwärme aus dem Genfersee beheizt und gekühlt. Der «Services Industriel de Genève (SIG)» realisiert bis 2035 das Projekt «GeniLac», das grösste jemals in Genf gebaute Wärme- und Kältenetz mit Seewassernutzung. Und wie sieht es im Tessin aus? Dort wird zum Beispiel Seewasser aus dem Luganersee genutzt, um das Nationale Hochleistungsrechenzentrum CSCS zu kühlen. Dabei handelt es sich nur um einige der Projekte, die in der Schweiz umgesetzt werden (vgl. Grafik Schweizerkarte).